ZYKLUS DER MENSCHLICHEN ENTWICKLUNG



INHALT:

Zyklus der Gesellschaft
Zeitalter des Individualismus und des Denkens
Der Aufstieg des subjektiven Zeitalters
Die Entdeckung der National-Seele
Wahrer und falscher Subjektivismus
Objektive und subjektive Lebensanschauungen
Das ideale Gesetz sozialer Entwicklung
Zivilisation und Barbarei
Zivilisation und Kultur
Zivilisation und ethische Kultur
Die Vernunft als Herr des Lebens
Aufgabe und Grenzen der Vernunft
Vernunft und Religion
Die überrationale Schönheit
Das überrationale Gute
Das überrationale Ziel des Lebens
Religion als Gesetz des Lebens
Das vorrationale Zeitalter
Die Kurve des rationalen Zeitalters
Ende des Zeitalters des Verstandes
Das spirituelle Ziel und das Leben
Notwendige spirituelle Wandlung
Vorbedingungen für ein spirituelles Zeitalter
Aufbruch und Fortschritt des spirituellen Zeitalters


 

Zyklus der Gesellschaft (Auszug)

 

Die moderne Wissenschaft, besessen von der Größe ihrer physikalischen Entdeckungen und dem Gedanken, daß allein die Materie Bestand habe, versuchte seit langem auch die Erforschung der Seele und des Menschen und jenes Naturgeschehen in Mensch und Tier, das eine ebenso psychologische wie physikalische wissenschaftliche Kenntnis zur Voraussetzung haben müßte, allein auf physikalische Gegebenheiten zurückzuführen. Selbst ihre Psychologie gründete sich auf Physiologie und Untersuchungen von Gehirn und Nervensystem. Was Wunder, daß in Geschichte wie Soziologie äußere Fakten, Gesetze, Einrichtungen, Riten, Gebräuche, wirtschaftliche Faktoren und Entwicklungen besondere Beachtung erfuhren, während die tieferen psychologischen Elemente, die für die Handlungen eines denkenden, gefühlsbestimmten und ideenträchtigen Wesens, wie es der Mensch ist, so bedeutsam sind, gänzlich vernachlässigt wurden. Solche Wissenschaft versucht möglichst alles in Geschichte und sozialer Entwicklung aus wirtschaftlichen Notwendigkeiten oder Motiven ­ Wirtschaft im weitesten Sinn verstanden ­ zu erklären. Es gibt sogar Historiker, die die Wirkung einer Idee oder den Einfluß des denkenden Menschen auf die Entwicklung der menschlichen Ordnung leugnen oder sie als gänzlich unwesentlichen Faktor verwerfen. So wird angenommen, daß der Ausbruch der Französischen Revolution aus wirtschaftlicher Notwendigkeit in der gleichen Art und Zeit hätte erfolgen müssen, auch wenn Rousseau und Voltaire ihre Werke nie geschrieben hätten und die philosophische Bewegung des 18. Jahrhunderts im Reich des Denkens nie ihr kühnes und radikales System von Spekulationen errichtet hätte.

In jüngster Zeit erhob sich nun der Zweifel, ob zur Erklärung von Spirit und Seele die Materie allein genüge, und es setzte eine Bewegung ein, die sich aus der Herrschaft der Naturwissenschaft löst, mag auch zunächst der Versuch noch ungeschickt und primitiv sein. Man beginnt einzusehen, daß hinter den wissenschaftlichen Motiven und Ursachen der sozialen -und geschichtlichen Entwicklung tiefe seelisch bedingte, vielleicht sogar rein seelische Gegebenheiten liegen.

Im Vorkriegs-Deutschland, diesem Stammland des Rationalismus und Materialismus, das gleichzeitig anderthalb Jahrhunderte lang Ursprung von neuen Ideen und guten wie bösen, wohltätigen wie vernichtenden geistigen Strömungen war, wurde zum erstenmal eine psychologisch bedingte Geschichtstheorie erfunden und von einem originellen Geist verkündet. Anfängliche Versuche auf einem neuen Gebiet sind nur selten ganz erfolgreich; und der deutsche Historiker, der Entdecker dieser Theorie, hatte zwar eine bedeutende Erleuchtung, war aber unfähig, sie sehr weit auszubauen oder tiefgehend auszuschürfen. Er stand noch unter dem Zwang der Ansicht, daß der wirtschaftlichen Gegebenheit das größere Gewicht zukäme; und entgegen dem üblichen Vorgehen der europäischen Wissenschaft sichtete, ordnete und reihte seine Theorie das Phänomenologische weit erfolgreicher ein, als daß sie es zu erklären vermochte. Trotzdem gestaltete seine Grundidee eine mitreißende und erhellende Wahrheit, und es lohnt, einigen der Anregungen nachzugehen, die sie vor allem im Hinblick auf östliches Denken und Erfahren bietet.

Der Theoretiker Lamprecht stützt sich auf die europäische, besonders die deutsche Geschichte und geht dabei von der Voraussetzung aus, daß die menschliche Gesellschaft durch bestimmte, seelisch bedingte Stufen vorwärtsschreite, die er als symbolisch, typisch und konventionell, individualistisch und subjektiv bezeichnet. Diese Entwicklung bildet etwas wie einen seelisch bedingten Zyklus, durch den ein Volk oder eine Kultur gehen muß. Unleugbar, daß solche Einteilungen in ihrer Starrheit Irrtümern verfallen und gedanklich eine gerade Linie an die Stelle des bewegten Hin und Wider der Natur setzen. Die Psychologie des Menschen und seiner Gesellschaften ist zu umfassend, zu sehr aus vielgestaltigen und ineinander verflochtenen Tendenzen zusammengesetzt, als daß sie einer solchen strengen und formelhaften Zergliederung genügen könnte. Auch sagt uns diese Theorie eines seelisch bedingten Zyklus nichts über die innere Bedeutung seiner aufeinanderfolgenden Phasen, über die Notwendigkeit dieses Ablaufs oder über das von ihnen verfolgte Ende und Ziel. Zum Verständnis der natürlichen Gesetze sowohl des Stoffes wie des Spirits muß aber deren Wirken in die erkennbaren und hauptsächlichen Grundbestandteile und die vorherrschenden Kräfte aufgegliedert werden, wenn diese in der Wirklichkeit auch nie gesondert zu finden sind. Ich möchte die Art der Gedankenführung dieses westlichen Denkers unberücksichtigt lassen. Die bedeutsamen, von ihm vorgeschlagenen Bezeichnungen aber mögen nach Prüfung auf ihren inneren Sinn und Wert einiges Licht auf das dichtverhängte Geheimnis unserer geschichtlichen Entwicklung werfen, und in dieser Hinsicht sollten weitere Untersuchungen angestellt werden.

Zweifellos finden wir, wo immer wir auch auf eine menschliche Gesellschaft in ihren scheinbar primitivsten Anfängen oder Frühstufen stoßen ­ gleichgültig ob die jeweilige Rasse zivilisiert, primitiv, wirtschaftlich entwickelt oder zurückgeblieben ist ­, eine stark im Symbol wurzelnde Mentalität, die ihr Denken, ihr Brauchtum und ihre Lebensformen beherrscht oder zumindest durchsetzt. Wir finden, daß diese soziale Stufe immer religiös ist und diese Religion getragen wird vom Bild. Denn Symbolik und ein weit ausladendes, von Phantasie getragenes oder intuitives religiöses Empfinden sind naturgemäß verwandt und gehen besonders in frühen oder primitiven Bildungsstufen immer Hand in Hand. Beginnen im Menschen Intellekt, Skepsis und Urteilsvermögen zu überwiegen, hebt eine auf dem Individuum ruhende Gesellschaftsform an, und das Zeitalter von Symbolik und Konvention schwindet dahin oder verliert an Kraft. Dann wird das Symbol dem Menschen zu etwas Hintergründigem, das er hinter seinem Leben und Tun ahnt ­ das Göttliche, die Götter, das Unermeßliche, Unnennbare, Verborgene, das voll des Geheimnisses in der Natur der Dinge lebt. Alle seine religiösen und sozialen Einrichtungen, alle Augenblicke und Abschnitte seines Lebens werden ihm zum Symbol, in dem er auszudrücken sucht, was er an mystischen Einflüssen hinter seinem Leben und seiner Erscheinungsform weiß oder ahnt, was seine Bewegungen beherrscht oder zumindest in sie eingreift.

Wenden wir uns den Anfängen der indischen Gesellschaft zu, dem so weit zurückliegenden Zeitalter der Veden, das wir nicht mehr begreifen, da uns seine Geisteshaltung verloren ist, so erscheint uns alles symbolisch. Der religiöse Ritus des Opfers beherrscht die ganze Gesellschaft, jede ihrer Stunden, jeden Augenblick. In jeder Wendung, jeder Einzelheit ist das Ritual des Opfers, wie bereits ein oberflächliches Studium der Brahmanas und Upanishaden zeigt, voll mystischer Symbolik. Die Theorie, dem Opfer liege nichts weiter als eine Versöhnung der Naturgötter zur Erlangung weltlichen Reichtums und des Paradieses zugrunde, ist ein Mißverstehen später Menschen, die von einer intellektuellen und praktischen Verirrung des Denkens, sogar in ihrer eigenen Religion und ihrer eigenen Mystik und Symbolik schon tief beeinflußt waren. So war ihnen der Zugang zu dieser Geisteshaltung verwehrt. Nicht allein die wirkliche religiöse Verehrung, sondern ebenso die sozialen Einrichtungen hatten einen vollkommen symbolischen Charakter. Als Beispiel diene die Hymne des Rig-Veda, die als Hymnus bei der Verehelichung eines Menschenpaares gedacht war und als solche sicher auch noch in der späteren vedischen Zeit benutzt wurde. Der Inhalt dieses Hymnus behandelt lediglich die aufeinanderfolgenden Ehen von Surya, der Sonnentochter, mit verschiedenen Göttern. Die Menschenehe spielt darin eine ganz untergeordnete Rolle und wird völlig beherrscht und überschattet von der göttlich-mystischen Gestalt, auch mit ihrem Namen bezeichnet. Dabei ist zu beachten, daß, nicht wie in der späteren Dichtung, die göttliche Heirat etwa nur als Zierbild oder poetischer Rahmen zur Darstellung und Verschönerung der menschlichen Verbindung gewertet wird. Im Gegenteil, das Menschliche ist nur von untergeordnetem Rang, ein Abbild des Göttlichen. Diese Unterscheidung zeigt den ganzen Widerspruch zwischen dieser älteren Geisteshaltung und unserem heutigen Denken. Diese Symbolik beeinflußte lange Zeit Indiens Denken über die Ehe, selbst heute gehört es noch zur überkommenen Vorstellung, mag auch ihr Sinn nicht mehr tatsächlich verstanden werden.

Streifen wir noch kurz, daß Indiens Ideal von der Beziehung zwischen Mann und Frau stets von der Symbolik der Beziehung zwischen Purusha und Prakriti (im Veda: Nri und Gna), dem männlichen und weiblichen Prinzip im Weltall, beherrscht wurde. In gewisser Hinsicht besteht sogar eine praktische Verbindung zwischen der Stellung der Frau und dieser Idee. In den frühen vedischen Zeiten, in denen im symbolischen Kult das weibliche dem männlichen Prinzip gleichermaßen gleichgeordnet war, wenn auch dem letzteren ein bestimmtes Übergewicht zukam, war die Frau gleicherweise Gefährtin wie Gattin des Mannes. Seitdem in der späteren Vorstellung Prakriti dem Purusha untergeordnet wurde, hängt auch die Frau vollkommen vom Mann ab, besteht nur durch ihn und hat kaum ein eigenes spirituelles Sein. In der Tantrik-Sakta Religion, in der das weibliche Prinzip noch am höchsten gewertet wird, wurde der in der sozialen Ordnung zwar nie zur Auswirkung gelangte Versuch unternommen ­ auch der Tantrik-Kult konnte die Unterordnung unter die Vedanta-Idee nie ganz beseitigen ­, die Frau höher zu stellen und zu einem Gegenstand der tiefen Achtung, ja Verehrung zu machen.

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